Der Anker

Der Begriff Anker ist unglaublich gut gewählt.

Was macht ein Anker? Er gibt Halt und Stabilität. Man kann sich auf einen guten Anker verlassen und er beseitigt jede Unsicherheit. Das stimmt für ein Schiff und das stimmt auch für den Bogenschützen.

Die Grundwahrheit des Bogenschießens, dass der Bogen als „dumme“ elastische Feder immer wieder das gleiche macht, wenn die Grundbedingungen gleich sind, zeigt die Notwendigkeit des Schützen dafür zu sorgen, dass eben diese Grundbedingungen wirklich immer gleich sind. Ein Aspekt dieser Grundbedingungen ist die Auszugslänge, ein wesentliches Maß für die Pfeilbeschleunigung. Das Ziel muß also sein, eine konstante Auszugslänge zu gewährleisten.

Sie hängt einerseits von der Haltung und der Länge des Bogenarms und andererseits von der Weite des Auszuges durch die Sehnenhand ab. Die Länge des Bogenarmes ist anatomisch unverrückbar vorgegeben (Kinder im Wachstum mal unberücksichtigt gelassen).

Die Haltung des Bogenarmes wird in einem anderen Kapitel beschrieben, ist aber auch festgelegt, sodass aus der Kombination Haltung/Länge eine feste Größe zur Verfügung steht. Bleibt noch die variable Auszugslänge durch die Sehnenhand, an der wir arbeiten müssen, damit das Ganze zu einer festen und unveränderlichen Größe wird.

Ein weiterer Aspekt der weiter oben angesprochenen Grundbedingungen ist die Richtung, in der die Beschleunigungslinie für den Pfeil liegt.

Ein Ende dieser Beschleunigungslinie ist die Pfeilspitze auf der Auflage am Bogen, die in einer festen Beziehung zur Bogenhand steht (ich setze mal voraus, dass der Bogen nicht seitlich verkippt wird). Das zweite Ende ist das auf die Sehne genockte Pfeilende an unserer Sehnenhand.

Da das Vorderende des Pfeils zum Zielen nach oben, unten, rechts und links geschwenkt wird, haben wir dort bereits die notwendige Bewegungsfreiheit zur Verfügung. Jede weitere Bewegungsfreiheit der Pfeillinie in den genannten Richtungen führt zu Unwägbarkeiten und Ungenauigkeiten. Wir müssen also dem Hinterende des Pfeils Stabilität geben und dürfen Bewegungen nach rechts, links, oben unten nicht erlauben. Hinzu kommt die weiter oben angesprochene Auszugslänge, die Bewegungen des Pfeilendes nach vorn oder hinten entsprechen würde, die wir ebenfalls unterbinden müssen.

Es wird also ein Punkt im Raum benötigt, der uns als Bezugspunkt dient, zu dem wir die Sehne immer wieder ziehen können und der sich distanzmäßig und bezüglich der relativen Position gegenüber der ausgestreckten Bogenhand/Pfeilauflage nicht verändern kann. Das ist unser Ankerpunkt, der in allen drei Dimensionen unverrückbar definiert ist.

Das könnte z.B. unser Bauchnabel, eine Brustwarze oder eine besonders hübsche Narbe sein. In der Praxis hat sich aber gezeigt, dass es Sinn macht, einen Punkt zu nehmen, der nicht so weit von unseren Augen entfernt ist, weil der Winkel zwischen Pfeilflug und Auge-Ziel-Linie möglichst gering sein sollte. Es hat sich also herausgestellt, dass ein Bezugs-Punkt im Gesicht recht praktisch ist.

Die meisten Schützen im olympischen Bereich bevorzugen als Anker die Kinnspitze, die Intuitivschützen die Wange. Es gibt Dogmatiker die nur eine „Wahrheit“ erlauben, doch ich habe festgestellt, dass es auch Visierschützen gibt, die mit einem Wangen-/Mundwinkelanker besser zurechtkommen und Intuitivschützen, die einen klassischen Kinnanker schießen. Wie man so schön sagt: „Es kommt darauf an…“

Hier muss also jeder in Zusammenarbeit mit seinem Trainer (oder mit sich selbst) eine optimale und bequeme (wichtig!) Lösung finden. Jeder reproduzierbare Anker ist ein guter Anker, egal, ob es der Mundwinkel, die Kinnspitze oder das Ohrläppchen ist (hinter dem Ohr würde ich nicht empfehlen…).

Dennoch gibt es gute Gründe für einen Intuitivschützen oder einen Blankbogenschützen, dem seitlichen Anker an der Wange unter dem Jochbein den Vorzug zu geben. Das aber nur am Rande.

Wichtig für die Reproduzierbarkeit ist aber nicht nur, dass man den Punkt im Gesicht millimetergenau wieder findet, sondern auch, dass das Gesicht immer an der gleichen Stelle ist.

Das ist doch wohl selbstverständlich… wirklich? Nein!

Sehr leicht neigt man dazu, den Kopf nach hinten oder vorn oder zur Seite zu neigen. Zumeist spürt man das selber gar nicht so genau und es führt natürlich zu Verschiebungen des Ankers in allen drei Dimensionen im Zentimeter-Bereich, was die millimetergenaue Platzierung des Gesichtsankers obsolet macht. Für die Reproduzierbarkeit eines Schusses ist es also „tödlich“, wenn der Kopf in irgendeine Richtung kippt.

Neben einem sicheren Gesichtsanker ist dementsprechend eine immer gleiche Kopfhaltung peinlich genau zu beachten. Bei Kinnankern ist sogar entscheidend, ob der Schütze den Mund geschlossen oder offen hat. Kaugummikauen ist also nicht zu empfehlen!